Urbane Praxis

Urbane Praxis entsteht an den Schnittstellen von Kultur, Architektur, Umwelt und Bildung, wenn Bürger:innen, kreative Akteur:innen und zivilgesellschaftliche Organisationen zusammenkommen, um ihre Stadt mitzugestalten, die eigenen Interessen auszuhandeln und diese zu vertreten. Dabei werden Stadträume und Gebäude als Orte für Nachbar:innen, Kunst und Kultur aktiviert, wobei unkonventionelle Nutzungskonzepte und kreative Teilhabe an der Stadtentwicklung erprobt und umgesetzt werden. In vielen Fällen spielt die Verwaltung dabei eine zentrale Rolle, indem sie Fördermittel bereitstellt, Genehmigungen erteilt oder sogar bei der Projektumsetzung kooperiert. Mitunter kommt es aber auch zu Konflikten zwischen den Beteiligten aufgrund unterschiedlicher Handlungslogiken, kultureller Unterschiede oder divergierenden Zielsetzungen. Dass gemeinsame Projekte dennoch erfolgreich umgesetzt werden können, ist daher eine der wesentlichen Qualitäten Urbaner Praxis.

Die selbstorganisierten und offenen Angebote Urbaner Praktiker:innen sind unseres Erachtens relevant für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung, denn angesichts von Klimawandel, Wohnungsnot und gesellschaftlicher Spaltung sind zivilgesellschaftliches Engagement, Experimentierflächen und kooperative Lösungsansätze notwendig. Bürger:innen und Verwaltung müssen enger zusammenarbeiten, um partnerschaftliche Ansätze zu entwickeln und Verantwortung zu teilen. Künstler:innen, Kulturschaffende und Nachbarschaftsinitiativen spielen dabei als Change Agents eine Schlüsselrolle, indem sie innovative Impulse für die Transformation des urbanen Raums setzen. In diesem Zuge entstehen oftmals neue Konzepte, die zur sozial-ökologischen Transformation beitragen können. Beispiele aus Berlin sind das Haus der Statistik, die Floating University, Operation Himmelblick, Pool Potentials und Berlin Mondiale sowie zahlreiche weitere Projekte in verschiedenen Kiezen der Stadt.

Neben den umgesetzten Projekten zeichnet sich Urbane Praxis in Berlin durch eine vielfältige Akteurslandschaft und ein weit verzweigtes Netzwerk aus. Das Hidden Institute versteht sich als ein Teil davon. Im Rahmen unserer Arbeit als Forschungsinstitut haben wir maßgeblich mit zwei Organisationen zusammengearbeitet, die für die Urbane Praxis in Berlin strukturbildend sind:

1. Der Berliner Projektfonds Urbane Praxis (BPUP) wurde im Jahr 2021 im Zuge des DRAUSSENSTADT Programms von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt eingerichtet. Im Jahr 2024 wurde der Projektfonds mit einem jährlichen Gesamtvolumen von ca. 1,2 Mio. Euro zum vierten Mal in Folge ausgeschrieben. Insgesamt wurden seit der Entstehung rund 120 interdisziplinäre Projekte im Stadtraum gefördert und realisiert.

Die Arbeit des BPUP wurde im Auftrag der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung zusammen mit der Agentur stadtstattstrand evaluiert. Beleuchtet wurde insbesondere das Zusammenspiel der beteiligten Akteure in Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft (urban governance). Die Grundlage dafür bilden eine Desktoprecherche, Expert:innen-Interviews und eine Online-Umfrage. Die Evaluation bewertet die Arbeit des BPUP im Zeitraum von 2021 bis 2023 anhand von qualitativen Kategorien. Darauf aufbauend wurden konkrete Handlungsanregungen erarbeitet, wie positive Wirkungen in Zukunft ausgebaut werden können. Schwerpunkte liegen dabei auf den Aspekten Diversität sowie erleichterten Zugang zu Stadträumen und Fördermitteln (Barriereabbau). Ergänzend fand auf Einladung des BPUP 2024 ein Workshop statt, um die Evaluation mittels einer Betrachtung der Wirkungen auf Projektebene zu ergänzen. Daran nahmen Vertreter:innen von rund 20 geförderten Projekte teil. Die Teilnehmenden diskutierten in drei rotierenden und moderierten Arbeitsgruppen die Frage, welche Wirkungen die Förderung des BPUP für die Projekte und deren Umfeld entfalten konnte. Die Ergebnisse des Workshops wurden aufgearbeitet, geclustert und anhand von Herausforderungen bei der Projektumsetzung ausgewertet.

2. Der gemeinnützige Urbane Praxis e.V. wurde im Jahr 2022 gegründet und trägt die Netzwerkstelle Urbane Praxis. Diese wird von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen mit 300.000 Euro im Jahr gefördert und hat die Aufgabe, eine Plattform für Wissensaustausch zwischen stadtgestaltenden Initiativen in Berlin zu bilden, diese zu beraten und zwischen Initiativen, Verwaltung und Politik zu vermitteln. Der Verein zählt mittlerweile knapp 100 Mitglieder.

Das Hidden Institute hat in enger Zusammenarbeit mit der Netzwerkstelle des Vereins und dem vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. einen Workshop zur Weiterentwicklung der bestehenden Förderstrukturen und deren Finanzierung umgesetzt. Teilgenommen haben stakeholder aus der Berliner Verwaltung und der Zivilgesellschaft. Die Ergebnisse des Workshops sind in ein Positionspapier eingeflossen, in dem die Einrichtung von sogenannten „Stadtlaboren“ vorgeschlagen wird. Diese sollen erfolgreichen Projekten eine längerfristige Perspektive ermöglichen, indem die Nutzung von ausgewählten Flächen für bis zu fünf Jahre von der Stadtverwaltung unterstützt wird, denn bisher können Projekte der Urbanen Praxis in der Regel nur für wenige Monate gefördert werden.

Beide Tätigkeitsbereiche machen deutlich, dass Projekte der Urbanen Praxis neue Verbindungen zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft etablieren und den öffentlichen Raum insgesamt zugänglicher machen. Dabei werden mittels der Einbindung von Anwohner:innen für die Verwaltung lokale Bedarfe sichtbarer, so dass diese bei offiziellen Planungen besser berücksichtigt werden können. Außerdem wird der Zugang zu Fördermitteln erleichtert, wodurch auch Menschen aktiv werden, die noch keine oder nur wenig Erfahrung mit der Durchführung von Veranstaltungen im urbanen Raum haben. In diesem Zuge können sich viele Akteure professionalisieren, die sozialräumliche Qualität ihrer Projekte erhöhen und ihre Netzwerke ausbauen.

Damit sich positive Wirkungen in den Kiezen verstetigen können, ist es allerdings notwendig, dass neben temporären und experimentellen Formaten ausgewählte Projekte auch längerfristig umgesetzt werden können. Wenn Projektlaufzeiten zu kurz sind, entstehen weder stabile soziale Kontakte noch langfristig tragfähige Strukturen vor Ort. Daher es ist aus unserer Sicht sinnvoll, Projekten der Urbanen Praxis geeignete Flächen und langfristige Fördermittel zur Verfügung zu stellen, wenn diese Potenziale aufweisen, eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung dauerhaft zu unterstützen. Dagegen treffen die in den Jahren 2024 und 2025 vom Berliner Senat beschlossenen Kürzungen im Kulturbereich die Urbane Praxis in besonderem Maße und schwächen deren Potenzial für eine zukunftsfähige Entwicklung der Stadt erheblich.

Material

Download (PDF): Evaluation BPUP Langfassung

Download (PDF): Evaluation BPUP Kurzfassung

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